Rückblick 39. Jazzfestival Würzburg 2024
Zum Nachhören: Mitschnitte des zweiten Abends sendet der Bayerische Rundfunk auf BR-Klassik am 5. Dezember, 22.03 bis 23.00 Uhr, und im Lauf des Jahres 2025.
Luftsäule legt sich in Sinuskurve
Pop bringt die Klangfarbe als viertes Element neben Melodie, Harmonie und Rhythmus in die Musik ein, sagte der bekannte Keyboarder und Theoretiker Brian Eno einmal über seine Zunft. Auf Jazz ging er dabei nicht ausdrücklich ein. Hätte er das 39. Jazzfestival Würzburg besucht, würde er das schleunigst nachholen. Hier ertönten etliche unerhörte Sounds.
Gleich zum Start paarte das Pulsar Trio Klavier und Sitar, die bei gleichzeitigen Anschlägen geschwisterlich verschmelzen und bei Läufen oder Dialogen auf lockere Weise zeigen, dass das Tasten- ja letztlich auch ein Saiteninstrument ist. Pianistin Beate Wein erklärte, es sei manchmal schwierig, immer wieder etwas Neues für diese Kombination zu finden. In der guten Stunde am Samstag brachten sie überzeugende Lösungen weitab von Folklore. Repetitive Muster herrschten vor, ebenso ein gleich hohes Tempo aller Nummern: Da sind noch einige Entwicklungen möglich.
Ganz anders geht Das Kondensat mit dem vierten Element um. In Gebhard Ullmanns Trio bedient jeder auch Elektronik. Besonders soundbildend sind Hall und Echo auf Ullmanns Sopran und Tenor, die einen Raum eröffneten, der Lichtjahre größer als das Felix-Fechenbach-Haus ist. In Pausengesprächen fiel oft der Name des Schlagzeugers Eric Schaefer – wg. Präzision, Gefühl und Lockerheit.
Heimstatt für Klassiker
In das, was man vielleicht einen klassischen Flügelton (im Unterschied zu einem jazzigen) nennen könnte, fließen viele Faktoren ein. Victoria Pohl hat sie scheint’s alle drauf, was sie nicht allein ihrem Studium beider Richtungen verdankt. Entscheidender als Fragen der Klangfarbe ist bei ihrem Trio aber: Was sagt eigentlich die Klassik-Polizei dazu? Sie könnte der Nürnbergerin vorhalten, ihre melodiösen Kompositionen steckten tief in der Spätromantik fest, so schaffe sie es nie nach Donaueschingen! Genau dafür, kontert der Jazzanwalt, gibt es Jazzfestivals wie das in Würzburg: als Heimstatt für solche Fusionen. Eine derart schöne Musik wird immer leben und hat deswegen dieselbe Berechtigung wie abbildende, gegenständliche Malerei.
Halbes Festival kam aus Köln
Die vierte große Tonverzauberung dieses überaus gelungenen Musikwochenendes kam erwartungsgemäß vom Fuchsthone Orchestra: Bigband plus Sängerin, Elektronikerin und Violinistin. Die beiden Bandleaderinnen Christina Fuchs und Caroline Thon übergaben einander nach jedem Werk das Podium. Keine von ihnen stellte mit dieser exotischen Besetzung ihre Originalität aus. Die lag vielmehr in der Ausgewogenheit zwischen Eingängigem und Bizarrem, Hässlichem und Schönem und was der Polaritäten mehr waren. Alles Abenteuer für die Ohren und den Geist. Denn die Programmmusiken hatten auch politische Botschaften, für die korrekter Beifall aufbrandete.
Außer dem Fuchsthone Orchestra kamen zwei weitere Formationen aus der Jazzmetropole Köln: Die fünf witzigen Entertainer des so genannten Horst Hansen Trios verwandelten u. a. den guten alten Cool Jazz in eine ganz heiße Sache: kunstfertige aktuelle Unterhaltungsmusik als idealer Abschluss des ersten Festivalabends. Die Mittelposition am zweiten Tag füllte das Fusion-Quartett Re:Calamari zur Freude aller, die es gerne schnell und laut haben. Anders als angekündigt spielte hier Tineke Postma Sopran und Alt und führte die Variationen zuende, die Pablo Held immer wieder gern unabgeschlossen in seinem E-Piano liegen ließ.
Der Szenenapplaus stirbt aus
Einen großen Durchbruch auf rezeptionsästhetischer Seite gab es zu verzeichnen: Der Szenenapplaus stirbt aus. Vereinzelt wurde noch nach Soli geklatscht, aber selten und wenn, dann verzögert, mitunter ratlos. Grund ist, dass die Jazzinitiative Würzburg bewusst keine Band eingeladen hatte, die zwischen durchkomponiertem Anfang und Ende einer Nummer wechselnde Solisten improvisieren lässt, schlimmstenfalls um ihre Virtuosität zu beweisen. Stattdessen wählten die Veranstalter Arrangements, in denen dichtes Zusammenspiel wichtiger ist als ein falsch verstandener Freiraum für Künstler-Egos.
Mit knapp 200 Besuchern pro Abend war die Halle stets gut besetzt.
Wir danken
– dem Bayerischen Rundfunk, der die Konzerte des Sonntagabends mitschnitt;
– allen Mithelfern, auch beim Catering (Cookie von Norbert Schmelz) und den Instrumenten-Leihern, den Hausmeistern des kommunalen Felix-Fechenbach-Hauses, den Musikerinnen und Musikern;
– den Fotograf:innen Carola Thieme und Wilfried Weis
– und den Förderern und Unterstützern: Stadt Würzburg, Bezirk Unterfranken, Sparkassenstiftung Mainfranken, Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp, Hotel Amberger, Prodomus Immobilienverwaltung, Jäcklein Architekten, Thieme Markendesign, VKU Unterfranken, Central Kino und Z87 Keller.
Plakatdesign: Markus Westendorf
Impressionen vom Festival-Samstag
Fotos von Carola Thieme