„Jeder Mensch hat ein anderes Bild von Jazz.“
Stimmt wohl. Aber auf eins können sich alle einigen: Lichtreflexe auf einem Saxophon symbolisieren diese Musik eindeutig und für jeden Hörer auf der Welt. Da stimmen sogar Posaunisten zu.
Ein schönes Stellt-euch-ein geben sich die Holzbläser mit dem Metallkorpus beim 33. Würzburger Jazzfestival aller Zeiten. In vier von sechs Bands wird das Saxophon geblasen. Einmal sogar dreimal!
Von Industry über Poesie bis Funk spannt sich der stilistische Bogen. Und eins gilt dabei wirklich für alle Formationen: Die Jazzinitiative Würzburg hat sie ausgewählt, weil sie wirklich etwas zur Gegenwart des Jahres 2017 ausdrücken. Nun aber, da der Jazz immer konkret ist, zum Einzelnen!
Plakat-Design: Markus Westendorf
(Foto: Tobias Christl)
Samstag, 28. Oktober 2017 – 19:00 Uhr
Tobias Christl Wildern
Felix-Fechenbach-Haus / Stadtteilzentrum Grombühl, Gutenbergstraße 11, 97080 Würzburg
Der Sänger nimmt die großen Gefühle des Poppes Ernst: Leonard Cohen, Björk, a-ha. Er verlässt sich darauf, dass die Melodien ihre Botschaft ausdrücken, und seien es nur zwei Töne eines modernen Evergreens. Wenn es sinnvoll scheint, lässt Tobias Christl diese zwei Töne für sich sprechen. Durch sich. Das kommt raus beim Wildern.
Zum furiosen Auftakt des Jazzfestivals erklingen aber keine virtuosen Vokalstücke. Die fünf Jazzer mit Sitz in der deutschen Musikhauptstadt Köln nehmen ihr Repertoire auch instrumental ordentlich ran. Christl, der in Würzburg Gesang studiert hatte, erklärt die Methode seines Quintetts mit dem Bandnamen: „Der Trieb ist reißerisch und möchte nicht gezähmt werden – Wildern!“ Aus einer melancholischen Ballade entwächst ein Groovemonster, aus orchestralem Pomp wird eine kammermusikalische Miniatur in Gänsehaut.
Beiträge dazu leisten die hervorragende Rhythm Section und zwei mitunter Wahnsinnige an Gitarre und Saxophon. Tobias Christl ist Mitglied im Kölner Jazzkollektiv Klaeng, wurde vor zwei Jahren für den Jazzecho nominiert und veröffentlichte seine CD „Wildern“ beim Label ACT Music.
Tobias Christl Gesang, Keyboard
Peter Ehwald Saxophon
Tobias Hoffmann Gitarre
Matthias Nowak Kontrabass
Daniel Schröteler Schlagzeug
Homepage: www.tobias-christl.de
(Foto: claudio casanova)
Samstag, 28. Oktober 2017 – 20:30 Uhr
Christian Muthspiel & Steve Swallow: Simple Songs
Felix-Fechenbach-Haus / Stadtteilzentrum Grombühl, Gutenbergstraße 11, 97080 Würzburg
Die Jazzinitiative wird manchmal nach „großen Namen“ unter den Festivalkünstlern gefragt. Hier ist einer. Steve Swallow machte den E-Bass im Jazz hoffähig, war Duo-Partner von John Scofield und als Mitglied im Jazz Composer’s Orchestra auf Carla Bleys „Escalator over the Hill“ zu hören. Der großen Dame begegnete er 1960 als 20-Jähriger – keine 32 Jahre später zog das Paar zusammen.
Christian Muthspiel kann solo Posaune spielen und dabei durchblicken lassen, dass er eigentlich an Bigband denkt – trotzdem fehlt weder ihm noch dem Publikum etwas. An einem Tasteninstrument funktioniert sein übergreifender Musikverstand genauso gut. Stets mit Spaß am Grenzen-Erkunden und am Groove zugleich.
„Simple Songs” nennen die beiden ihr Duo und die so genannten einfachen Lieder. Sagen wir es so: Es ist einfach eine Freude zu hören, wie dicht und leichtverständlich der Gitarrist die Vorgaben des Österreichers auffängt und umsetzt. Und umgekehrt.
Christian Muthspiel Posaune, Klavier, E-Piano
Steve Swallow Bassgitarre
Homepage: www.christianmuthspiel.com
(Foto: Anna Logue)
Samstag, 28. Oktober 2017 – 22:00 Uhr
Black Project
Felix-Fechenbach-Haus / Stadtteilzentrum Grombühl, Gutenbergstraße 11, 97080 Würzburg
Finster, laut und elektrisch macht sich das Black Project auf der Bühne breit. Die lustigen Saiteninstrumente auf der Liste unten täuschen: Diese sechs Söhne Mannheims rufen die melancholischen Ahnen des Artrock aus der Gruft, nicht die heiteren Hippies.
Dabei hat ihre Mischung etwas sehr Belebendes. Sie spielen die bekannten Fusion-Muster so frisch, als hätten sie sie gerade erfunden. Und der Klang zweier elektrischer Gitarren versöhnt den Beobachter der Musikgeschichte ein wenig mit der leidigen Lücke, dass Jimi Hendrix nicht an Miles Davis’ „Bitches Brew“-Doppelalbum mitgewirkt hat. Manchmal lässt sich das Rad der Geschichte eben doch zurückdrehen, zumindest ein klein Stückchen weit.
Das alles geschieht mit der Könnerschaft ausgebildeter Jazzer – so zum Beispiel hat der Bassist Matthias Debus in Würzburg studiert und ist vom einen oder anderen Bandprojekt wie Running Five her sicher noch bekannt.
Johannes Stange Trompete, Flügelhorn, Ventilposaune
Jörg Teichert Gitarre, Banjo, E-Mandoline
Jo Ambros Gitarre, Pedal Steel, Banjo
Konrad Hinsken Fender Rhodes
Matthias Debus Kontrabass, E-Bass
Christian Huber Schlagzeug, Percussions
Homepage: www.blackproject-musik.com
(Foto: Michel Zoeter)
Sonntag, 29. Oktober 2017 – 19:00 Uhr
Susanne Alt & Pheel D. J.
Felix-Fechenbach-Haus / Stadtteilzentrum Grombühl, Gutenbergstraße 11, 97080 Würzburg
Die Saxophonistin hat grade einen großen Disco-Erfolg mit ihrer CD „Saxify“. Doch der Glitz wird nicht über die Felix-Fechenbach-Halle hereinbrechen. Und es wird ganz ohne Bombast abgehen. Aber tanzbar startet der Sonntagabend schon.
Susanne Alt tritt mit einer handverlesenen Combo auf, exklusiv in Würzburg: ein Saxophontrio mit Beatbox. DJ Pheel legt den Groove vor. Da bewegt sich Alt auf bekannter Bahn, schließlich arbeitet sie oft mit einem Rillenkünstler als Ersatz für eine komplette Kapelle zusammen. Die Bassläufe zum rhythmischen Szenario steuert der D. von „D. J.“ bei, Dirk Rumig. Der heimische Holzbläser ist einer der pheelseitigsten und organisierte zudem die Arbeitsbeziehung über Distanz. Seit Monaten gehen E-Mails mit kompositorischen Konzepten zwischen Würzburg und den Niederlanden, Susanne Alts Wahlheimat, hin und her. Was genau dabei herausgekommen sein wird? Zu Redaktionsschluss stand es noch nicht fest.
Susanne Alt Reeds
Dirk Rumig Reeds, Bassklarinette, Effekte
Johannes Liepold Reeds, Altklarinette, Effekte
DJ Pheel Human Beatbox, Taschenkeyboards, Effekte
Homepage: www.susannealt.com
(Foto: Distances)
Sonntag, 29. Oktober 2017 – 20:30 Uhr
Distances
Felix-Fechenbach-Haus / Stadtteilzentrum Grombühl, Gutenbergstraße 11, 97080 Würzburg
Der Würzburger und Münchner Bassist Georg Kolb gründete vor drei Jahren zusammen mit dem Venezianischen Pianisten Marco Ponchiroli ein neues Jazzquartett, nachdem sie sich im Jahr zuvor bei der Biennale in Venedig kennen gelernt hatten. Heuer im Februar trug die Distanzbeziehung Früchte in Form der CD „Venice“. Zu deren internationalem Flair tragen ein litauischer Saxophonist und ein bulgarischer Drummer bei, die aber in Oberbayern leben.
Damit der Würzburger Auftritt nicht zu routiniert abläuft, lud Georg Kolb noch Gäste zum Feste: Dirk Rumig (s. o.) und den experimentierfreudigen und bluesig geerdeten Gitarristen Jochen Volpert sowie Milena Ivanova am Cello und Michael Buttmann an der Posaune.
Ihr Zusammenwirken zeigt an diesem Festivalwochenende noch einmal, heute von weniger wilder Seite, die Klassizität und Unsterblichkeit von Fusion, hier freilich in einer Variante, auf die das Synonym Jazzrock so recht gar nicht passt. Immer wieder freilich fällt dem Hörer die Lagunenstadt ein: Diese Musik stellt sich in den Dienst einer alten, rätselhaften und auch recht gefährdeten Schönheit.
Marco Ponchiroli Piano
Jan Grinbert Alt- und Sopransaxophon
Georg Kolb Bassgitarre, Synthesizer
Nevyan Lenkov Schlagzeug
Gäste:
Jochen Volpert E-Gitarre
Dirk Rumig Bassklarinette
Milena Ivanova Cello
Michael Buttmann Posaune
Homepage: www.distances.eu
(Foto: Alicia Leuschner)
Sonntag, 29. Oktober 2017 – 22:00 Uhr
The BootyJive
Felix-Fechenbach-Haus / Stadtteilzentrum Grombühl, Gutenbergstraße 11, 97080 Würzburg
Kosmischer Nonsens-Funk schießt das 33. Jazzfestival Würzburg in ein walzerselig taumelndes All. Die vier Musiknauten (in stilvollen mongolischen Müllsammlergewändern) werfen die Groovemaschine an und schicken – im Prinzip fast konventionell – abwechselnd Takashi und Bernhard (s. u.) an die Bühnenrampe, um die brodelnde Masse weiter aufzupeitschen.
In Wirklichkeit bestimmen weniger die menschlichen Rollenwechsel die musikalische Struktur als vielmehr die überraschenden Übergänge von strikt auskomponierten Passagen, individuellen Einfällen dazu – und individuellen Einfällen zu etwas ganz, ganz anderem. Wenn das dann von einem Mitspieler aufgefangen wird, kommt es zu echt beglückenden Momenten.
Symbolisch für dieses Vorgehen steht bei der Berliner Band bisweilen ein Theremin auf der Bühne. An dem sich bis zu drei ausgewachsene Männer gleichzeitig zu schaffen machen.
Bernhard Ullrich Saxophon
Takashi Peterson Gitarre
Tobias Fleischer Bass
Andi Bühler Schlagzeug
Homepage: www.thebootyjive.com
(Foto: Liepold, Schirmer,Klose)
Rahmenprogramm:
Donnerstag, 02. November 2017 – 19:30 Uhr
Liepold-Schirmer-Klose-Trio
Klangraum Jazz-Konzert im Kulturspeicher Würzburg (Freundeskreis Kulturspeicher e.V.)
Veranstaltungsort: Kulturspeicher
Oskar-Laredo-Platz 1, 97080 Würzburg
Eintritt: 14,- Euro
Weitere Infos: siehe Homepage des
Freundeskreis Kulturspeicher e.V.
Nach internationalen Wanderjahren kehrte der Saxophonist Johannes Liepold in seine Studienstadt Würzburg zurück. Hier ist er inzwischen wieder eine feste Größe in zahlreichen Formationen. Seine kleinste eigene Kapelle bewährte sich u.a. bei den Überlandfahrten des Blauen Eumel: Hochkultur spricht mit den Mitteln der Straßenmusik die Menschen in tiefer Provinz an. Mit Sebastian Klose am Kontrabass und Tobias Schirmer am Schlagzeug. Ein Klangraum-Konzert des Freundeskreises Kulturspeicher gemeinsam mit der Jazzinitiative Würzburg.
Johannes Liepold Saxophon
Sebastian Klose Kontrabass
Tobias Schirmer Schlagzeug