Moderne Popper blasen das Saxofon
33. Jazzfestival der Jazzinitiative Würzburg 2017: Ein Fest für alle Hörer!

28. und 29. Oktober: An jedem Abend bekam die Jazzini die Halle voll. Und heuer blieben fast alle Besucher bis zum letzten Akkord am Sonntag gegen Mitternacht. In anderen Jahren leert sich das Stadtteilzentrum gelegentlich schon vor dem letzten Act. Schließlich fordert das Jazzhören Geist und Ohren, zumal das Würzburger Festival ausschließlich Ensembles verpflichtet, die Musik auf der Höhe der Gegenwart, möglichst sogar der Zukunft spielen. Und auch wenn die Veranstalter auf Freejazz und andere Berserkereien verzichten – es erklingen eben sehr viele Noten, meist ziemlich dicht, und sie hängen auf eine Weise zusammen, die sich dem Mitsummen nicht auf Anhieb erschließt.

Das war auch bei der letzten Combo des 33. Fests kaum anders. Nur eben formierten die Sounds der BootyJive eine fetzige Mischung aus superhartem Soul, Funk und vielen Fisematenten nach der Art eines Frank Zappa, so dass vereinzelt am Rand der Bestuhlung sogar getanzt wurde. Viele Gäste waren neugierig auf die vier Berliner, die der Mann am Mischpult, Andy Balaskas, der Jazzini heiß ans Herz gelegt hatte. Zudem wurde Monate vor dem Festival ruchbar, dass The BootyJive als Außerirdische in Müll- bzw. Müllmännerkostümen auftreten.

Dass die vier Groove-Aliens ihrem Entdecker Earthling Balaskas beim Schlussbeifall ausdrücklich dankten, war kein Einzelfall. Auch andere Musiker waren begeistert, wie souverän der Tontechniker den Saal im Griff hat.

Er arbeitete auch gut mit dem Mischer-Kollegen zusammen, den das Duo Christian Muthspiel und Steve Swallow selbst mitgebracht hatten; das kam in der Geschichte der Jazzfestivals schon öfter vor, dass Künstler mit eigenen Technikern in Würzburg aufschlagen. Im Fall des internationalen Duos brachte das eine gewisse Star-Aura mit, denn Swallow ist ein Pionier des E-Basses im Jazz. Er exerzierte die „Simple Songs“ seines Programms allerdings ausschließlich mit hart angeschlagenen Saiten einer akustischen Bassgitarre, was den einfachen Melodiekernen nichts Wesentliches hinzufügte. Das sollte so sein und war eine willkommene Erholung zwischen dem ersten und dritten Akt am Samstag.

Denn da erscholl experimentelle, heftig angejazzte Rockmusik, und das laut. Auch am Sonntag übrigens: Zwei der drei Kapellen unterhielten mehr als diplomatische Beziehungen zum Pop. Heißt nicht, dass die Ini beim Konzipieren ihres Festivals allmählich Angst vor Jazz entwickelt oder dass die reineren Formen des Genres keine interessanten Künstler mehr hervorbrächten. Aber in den Zwischenbereichen ist eindeutig mehr los.

So begeisterte der hingebungsvolle Sänger Tobias Christl in einem gezackten Instrumentalfuror seines Projekts Wildern mit absolut eigenständigen Interpretationen weltbekannter Oldies – meist übernahm er nur Fragmente in seine Klangwelten. Welche Rolle dabei das Minimal-Art-Saxofon von Peter Ehwald spielte? Man wird es nie erfahren, es passte einfach zu gut in diese Unerhörtheiten.

Das Mannheimer Black Project, das den ersten Abend beschloss, war ohne Gesang in einer ähnlichen Mission unterwegs. In dem Sextett stand das Toben der zwei Gitarristen in einem merkwürdigen Kontrast zu der versunkenen Spielweise des Frontmanns an den Blechblasinstrumenten, Johannes Stange. Von dem hätte man sich mehrmals ein schönes Explodieren gewünscht. Aber der Mann hat sich dank regelmäßigem Meditieren emotional im Griff.

Rockig und poppig ging es bei diesem Festival zu, freilich immer auf einer erkennbar jazzigen Grundlage. Für einige fortgeschrittene Hörer – und das Jazzfestival Würzburg hat viele Musiker im Publikum – kam dabei ein Aspekt etwas zu kurz: die harmonische Finesse, denn die meisten Soli hielten sich in der einmal vorgegebenen Tonart. Entsprechend kurz blieben die Passagen; ausgeufert wird ja in der Regel beim Jonglieren mit Quintenzirkeln, wobei dem ungeschulteren Ohr dann leider die Melodie abhanden kommt. Die Programmgruppe der Jazzini hat diesen Effekt von vornherein verhindert. Das Festival war ein Fest für alle Hörer.

An dieser harmologischen Zurückhaltung beteiligten sich, soweit es in der Macht von Schlagzeugern steht, auch die Herren hinter dem Kit. Erst die vorletzte der sechs Bands spielte das erste Drum-Solo des Festivals, und das dauerte bloß 16 Takte. Bei den an- und abschließenden BootyJive hatte das Felledreschen ohnehin eine Sonderfunktion.
Der zweite Tag stand stärker als der erste im Zeichen heimischer Eigengewächse; am Samstag traten lediglich zwei Künstler auf, die an der Würzburger Musikhochschule studiert hatten. Den Sonntag eröffnete Susanne Alt, am Main geboren, aber seit über 20 Jahren ein Meisje. Die Wahlholländerin hat mit ihrem Altsax und selbstgemischten Club-Tracks grade gut in Diskos zu tun. Remixes ihrer Techno-Stücke legte sie nun auf der Bühne auf, das Gewump umspielte fein ziseliert DJ Pheel als Human Beatbox. Und über die Distanz Amstel-Main hatte Alt mit ihrem Bläserkollegen Dirk Rumig Arrangements entwickelt, die auch Johannes Liepold (Tenorsaxofon, ebenfalls Würzburg) einbezogen. Die stampfbaren Songs kamen sehr gut an, die schnellen Läufe auf den glänzenden Instrumenten erfreuten den Saal.

Aber so richtig jauchzenden Beifall heimste dann berechtigterweise die nächste Formation ein. Der Teilzeitwürzburger Georg Kolb stellte das internationale Quartett Distances für eine Art Mehrgenerationenjazz zusammen. Von Bop über Latin bis Fusion ließen sich in dem einheitlichen Bandstil Einflüsse ausmachen. Melodisch kreisten die Werke um eingängige Muster, nur ein bisschen größere als die der Simple Songs vom Samstag.

Es gab noch eine zweite Verbindung zwischen dem österreichisch-amerikanischen Duo und Distances: den herausstechenden Bass. Nur dass Kolb nicht so knochentrocken sachlich wie Swallow zupft, sondern in einer weichen, aber sehr prägnanten Rasanz. Kurz: Wie Piano und Sax spielte auch der Bassman ein Soloinstrument. Trotzdem erschienen die Titel nie als Abfolge von Ego-Eskapaden, sondern als gute Kompositionen mit Freiraum für gute Musiker.

Der zweite Distances-Programmteil konnte darauf aufbauen. Da kletterten tatsächlich vier heimische Gäste auf die Bühne, Cello, zwei Bläser und ein Blues-E-Gitarrist, der erdige und leuchtende Kontraste in die Nummern reindengelte. Das schöne schnelle Oktett legte einen soliden Grund für die BootyJive und das endgültige Abheben – bis zum nächsten Jahr.

Joachim Fildhaut

Fotos: Carola Thieme (www.thieme-markendesign.de)